Artikel aus der "Berliner Morgenpost" (www.berliner-morgenpost.de) vom 4. Februar 2001

Finger weg vom Turban

Der Berliner Michael Roes dreht im Jemen einen arabischen «Macbeth» - mit Stammeskriegern als Darsteller. Ein Abenteuer, das er manchmal bereut

Von Alexander Remler

Widerwillig: Lange haben sich die Schauspieler gesträubt, bis Regisseur Michael Roes sie überreden konnte, sich für die Szene "Der Wald von Birnam" als Frauen zu verkleiden.
Foto: Gundula Krause


Am Ende eines langen Drehtages in der Wüste, ohne Wasser und ohne Essen, reißt Macbeth doch noch der Geduldsfaden. Hungrig und wütend greift er nach seinem Turban und schleudert ihn in den staubigen Graben neben der Straße. Kaum vorstellbar, dass er sich eben noch, todesmutig wie ein wahrer Schotten-König, gegen die Übermacht der anrückenden Engländer gewehrt hat. Und das nicht nur ein Mal, sondern gleich elf Mal, weil sein englischer Widersacher Malcolm stets im entscheidenden Augenblick seinen Text vergessen hatte.

Doch das hat Macbeth längst vergeben. Nein, der edle Fürst, der eigentlich Yahya Hamood Mohsin Al-Dhafeeri heißt und an der Universität von Sana'a Jura studiert, ist aus einem anderen Grund auf Hundertachtzig. Und Michael Roes, der inzwischen müde an einer Mauer lehnt, weiß auch warum. Yahya fordert, wie schon so oft, eine höhere Gage. Nach sechs Wochen Filmerei im Jemen hat sich der Berliner Schriftsteller und Filmemacher an dieses täglich aufgeführte Trauerspiel gewöhnt. «Ich bin hier für alle die Melkkuh, die für jeden Handschlag extra zahlen muss.»

Die Strapazen der vergangenen Wochen haben sich tief in sein Gesicht gegraben. Anderseits sind es nur noch wenige Tage, bis der Film im Kasten ist. Und damit hat sich Michael Roes mit seiner verrückten Idee gegen alle äußeren Widerstände durchgesetzt. Mit «Someone is sleeping in my pain. Ein west-östlicher Diwan» hat er eine arabische Version von Shakespeares «Macbeth» gedreht - in der Wüste außerhalb von Sana'a und vorwiegend mit jemenitischen Stammeskriegern in den Hauptrollen.

Später, als er einen weiteren Zuschlag von 1000 Rial pro Darsteller bezahlt hat, umgerechnet rund 15 Mark, sitzen wir entspannt im Schatten und trinken den landestypisch stark gesüßten Tee mit viel Milch. Dass er mit allerlei Hindernissen im Jemen rechnen musste, war Michael Roes klar. «Aber wenn ich vorher gewusst hätte, was alles auf mich zukommen würde, wäre ich wohl nicht gekommen», meint der 41-Jährige.

Vor sechs Jahren hat er zum ersten Mal für mehrere Monate in dem Land an der Südspitze der arabischen Halbinsel gelebt. 1996 feierte er mit seinem Reiseroman «Rub'Al-Khali. Leeres Viertel» seinen literarischen Durchbruch. Nach zwei weiteren Romanen, die ihn nach New York («Der Coup der Berdache», 1999) und in die Südstaaten der USA («Haut des Südens», 2000) geführt haben, ist er nun zurückgekehrt, um sich mit dem Film einen Kindheitstraum zu erfüllen.

In seinem «west-östlichen Diwan» erzählt er eine Film-im-Film-Geschichte. Der äußere Rahmen ist die Reise eines Regisseurs, gespielt vom New Yorker Performance-Künstler Andrea Smith, der in die Bergwelt Südarabiens fährt, um dort mit jemenitischen Stammeskriegern «Macbeth» aufzuführen. Fasziniert von der Landschaft und dem Ernst ihrer Bewohner, will der Amerikaner, der eine Art Alter Ego von Michael Roes darstellt, den Alltag der Krieger so authentisch wie möglich inszenieren. Für die arabischen Krieger sind Ehre, Gastfreundschaft und Blutrache, also jene Konzepte des Mittelalters, die auch für den schottischen König Macbeth zählen, keine veralteten Begriffe, sondern auch heute noch gelebte Werte. Die realen Schwierigkeiten, die dem Filmteam von Michael Roes begegneten, werden zugleich zum Rahmen der Geschichte im Film.

Und an Problemen herrschte während der siebenwöchigen Drehzeit, die in New York begann, kein Mangel. Sponsoren sprangen ab, der Informationsminister verweigerte Reisegenehmigungen in die Stammesgebiete, Auseinandersetzungen mit den Stämmen waren an der Tagesordnung. Das Film-Budget von rund 100 000 Mark trägt Michael Roes, der nun unfreiwillig Regisseur, Produzent und Tonmeister in Personalunion ist, selbst.

Dazu kam, dass Schauspielerei in der arabischen Kultur keine Wurzeln hat. Zwar ist der jemenitische Alltag voller theatralischer Elemente - wie letztlich auch das tägliche Gefeilsche um die Gagen beweist - , doch wird der Beruf des Schauspielers als unmännlich, unehrenhaft und sogar als blasphemisch angesehen. Die Schauspielerei ist für viele gläubige Moslems der Heuchelei, der List und dem Betrug zu sehr verwandt. Kein Wunder, dass sich zunächst kaum Laien-Darsteller fanden, auf die der Film aber angewiesen war. «Weil die unmittelbare Umgebung der Jemeniten der Welt von Shakespeare aber so sehr ähnelt, waren die Krieger schließlich doch von der Filmidee angetan und machten mit», erzählt Andrea Smith. Nur eines kam in dem streng islamischen Land nicht in Frage: dass Frauen mitspielten. Deshalb übernahm Smith nicht nur die männliche Hauptrolle, sondern auch die der Lady Macbeth. Transvestie ist für die Jemeniten offenbar in Ordnung. Hauptsache keine Frauen.

Der Jemen ist aber ein Land, das nicht im imaginären Orient eines Karl May liegt, sondern ein autokratisch regierter Dritte-Welt-Staat mit einem Pro-Kopf-Einkommen von gerade einmal 320 Dollar pro Jahr. Der Alltag ist schon lange nicht mehr, wenn je überhaupt, von Traditionen, sondern von Profitgier und Machtstreben gekennzeichnet. «Korrupte Beamte sind an der Tagesordnung», so Michael Roes. Dazu ist die politische Situation äußerst angespannt. Ein Referendum steht kurz bevor, mit dem sich Staatspräsident Ali Abdullah Saleh quasi-diktatorische Vollmachten genehmigen will. Die mächtigen Stämme, die mit der Zentralregierung traditionell nicht auf bestem Fuß stehen, sind nervös. Ebenso das Militär. Hin und wieder wird geschossen. Und entführt. Gerade noch ein deutscher Ingenieur, dann der Sohn des Gouverneurs der Hauptstadt Sana'a.

Während Michael Roes tags darauf erzählt, wie er eines Nachts mit Schüssen aus einem Dorf in den Bergen vertrieben wurde, sitzen wir in einem Pick-up und nähern uns einem der vielen Checkpoints, die an allen Ausfallstraßen des Landes aufgestellt sind. Wir werden an die Seite gewunken. Fahrzeug-Kontrolle. «Muschkali?» - gibt es ein Problem? - fragen wir. Nein, die Soldaten schütteln den Kopf. Ihre Gewehre klappern am Schulterriemen. Alles in Ordnung. Nach ein paar Minuten fahren wir weiter. «Die Existenz der Checkpoints zeigt aber die Ohnmacht der Regierung, deren Macht bereits wenige Kilometer hinter der Hauptstadt endet», meint Roes. In Stammesgebieten würden Touristen deshalb schon lange nicht mehr beschützt werden können.

Frauen sind auf den steinigen Straßen außerhalb der Hauptstadt kaum zu sehen. Und wenn, dann bis auf die Augen verschleiert. Die Männer tragen nicht nur Dschambijas - die traditionellen Krummdolche mit Horngriff - , sondern auch Kalaschnikows über der Schulter. Die Waffen sind ein Zeichen der Würde und der Unabhängigkeit der Krieger. Kein Präsident in Sana'a wird auf absehbare Zeit in der Lage sein, sie zu entwaffnen. Damit bleibt der Jemen ein Land mit 18 Millionen Einwohnern - und mindestens 50 Millionen Waffen.

Die klassische Shakespeare-Tragödie kommt so zu einem stimmigen Dekor. Im Bergdorf Kaukaban, in dem die letzten Szenen gedreht werden, wachsen die Häuser wie dicke Klötze aus der Erde. Zwei, drei Geschosse hoch. Manche haben Fenster aus leuchtendem Alabaster, die meisten aber nur quadratische Löcher, die wenig Licht ins Innere lassen. So fern der Zivilisation wirkt das Dorf, dass Gewalt hier beinahe wie eine naturgegebene Umgangsform erscheint. Die ideale Kulisse für «Macbeth». Vor der Stadt warten bereits dreißig bis vierzig Personen. Manche machen beim Film mit, die meisten sind Schaulustige. Das Filmteam ist die Attraktion des Tages. Eine lange Karawane setzt sich zum Drehort in Bewegung, der nur zu Fuß zu erreichen ist. Irgendwo fallen Schüsse. Kameramann Manfred A. Hagbeck lacht: «Keine Angst, das ist nur Feuerwerk. In den vergangenen Wochen habe ich echte Schüsse von Knallern zu unterscheiden gelernt.»

Auf dem Drehplan steht die Szene «Der Wald von Birnam», in der sich bei Shakespeare die Engländer mit Blättern tarnen und auf Macbeths Schloss vorrücken. Doch von Wald ist in der Wüste weit und breit keine Spur. Michael Roes muss improvisieren. Die Angreifenden sollen sich stattdessen als friedvolle Frauen ausgeben, die Wasser von der Quelle holen. Die Stammeskrieger, denen die Szene erklärt wird, glauben, nicht recht verstanden zu haben. Als Frauen verkleiden? Sie schauen sich erst verdutzt, dann empört an. Das kommt nicht in Frage. Geduldig erklärt ihnen Roes den Grund. Dann geht er reihum, nimmt den stolzen Kriegern die Turbane vom Kopf, um sie ihnen als Schleier umzubinden. Widerwillig lassen sie sich darauf ein. Sie fühlen sich in ihrer Würde verletzt. Die Umstehenden haben dafür umso mehr Spaß, lachen laut und können kaum glauben, was sie da sehen. «Cut», ruft Michael Roes endlich, als die Szene gedreht ist - wieder ein hartes Stück Überzeugungsarbeit hinter sich.

In der Mittagspause haben die Schauspieler ihre Würde wiedergewonnen. Yahya, der den Macbeth spielt, fühlt sich schon auf halbem Weg nach Hollywood. «De Niro», nennt ihn das Filmteam scherzhaft. Dabei bevorzugt er einen ganz anderen Spitznamen: «Rambo», sagt er und streckt seinen Oberkörper heraus. Michael Roes hat eine Menge Kompromisse schließen müssen.

Seit einigen Jahren haben Ölfunde und internationale Entwicklungshilfe viel Geld in den Jemen gebracht. «Dadurch wurde aber auch die Gier entfacht», meint Michael Roes. Umso größer ist seine Leistung, sein Projekt durchgezogen zu haben. Verloren hat er dabei aber seine Liebe zum Land. «Ich wollte noch eine Weile Urlaub machen, aber jetzt will ich nur noch zurück nach Berlin», sagt er. Dann fügt er hinzu: «Aber ich will noch einmal wiederkommen, um dem Land eine zweite Chance zu geben.» Es hört sich an, als biete er einem Partner nach der Trennung an, man könne ja versuchen, befreundet zu bleiben.


>> Artikel der "Zeit"
>> Artikel im "Yemen Observer" (in Englisch)
>> Interview mit dem Regisseur (in Englisch)


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